Wenn Pässe reden könnten: Diese Reihe möchte uns die aussergewöhnliche Schönheit so mancher heimischen Bergstrasse in Erinnerung rufen.

Die wahre Persönlichkeit der Pässe – wer hat beim ­erbaulichen Kurvenschwung schon mal darüber nachgedacht? Besonders auf Passstrassen, die zu den berühmtesten des ­Alpenraums und der Schweiz gehören, sollte man sich einmal klar machen, auf welch geschichtsträchtigem Terrain man im Moment sein Motorrad von einer Schräglage in die andere fallen lässt – Passstrassen, die seit Generationen das Land des Nebels, mit dem Land der Sonne verbinden. 

Der Splügenpass ist so einer: Die Bergstrasse muss sich hinter wesentlich bekannteren Namen wie dem Stilfser Joch keinesfalls verstecken, weder in Bezug auf den Schwierigkeitsgrad noch in Bezug auf die Schönheit. Die spektakuläre, 39 km lange Trasse verbindet das Schweizer Dorf Splügen mit dem italienischen Chiavenna. Der Grenzpass liegt eingebettet zwischen dem Pizzo Tambo (3279 m) im Westen und dem Surettahorn (3027 m) im Osten und gehört, wie das Stilfser Joch, zu den grossen Herausforderungen für Motorradfahrer in den Alpen. Ein Pass mit langer Historie, denn ein Saumpfad wurde schon zur römischen Kaiserzeit angelegt – eine römische Strassenkarte um 300 n. Chr. belegt dies – die Fahrstrasse existiert aber erst seit 1826. 

Während Jahrhunderten hat hier der Warentransport über die Alpenpässe Splügen und San Bernardino das Leben in den Dörfern und deren Erscheinungsbild geprägt: Splügens alter Dorfkern ist so ein Beispiel, bekannt für die Steinplattendächer der stolzen Palazzi und die typischen Walserhäuser. Der Wohlstand kam nicht von ungefähr: Lange war der Splügenpass der meist begangene Alpenpass Graubündens. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm seine Bedeutung rapide ab. Als besonders beschwerlich galt früher schon die Etappe bis zum Dorf Splügen – von Thusis südwärts durch die Viamala-Schlucht. 300 Meter hohe Felswände bilden den teilweise nur wenige Meter breiten Taleinschnitt dieser furchterregenden Schlucht. Einen guten Eindruck erhält man, wenn man über die 321 Treppenstufen hinunter steigt. Die Brücke aus dem Jahre 1739, fast 70 Meter über dem Hinterrhein, wirkt aus dieser Perspektive noch beeindruckender. 

Cardinelloschlucht: Das wildeste Wegstück 
Die Trasse des Splügenpasses verläuft ziemlich genau in Nordsüdrichtung und ist dabei, besonders auf dem italienischen ­Abschnitt, ein herausragendes Beispiel für die Kühnheit der Ingenieure, die durch eine nahezu unbezwingbare Felsenlandschaft eine Trasse gezogen haben, die einen noch heute mit offenem Mund in Staunen versetzt. Ab Splügen (1457 m) geht es über fünf Kehren ins Häuserbachtal. Durch eine landschaftlich offene Hochalp führen 14 dicht aneinander gereihte Kehren schliesslich zur Passhöhe auf 2117 Metern. Vom Schweizer Zollamt geht es dann über Pianazzo, Campodolcino und San Giacomo in dreissig Kilometer langer Kurvenfahrt ins Tal – bei Montespluga ist übrigens die italienische Grenzkontrolle. 
Die Passhöhe selbst und das Hochtal sind eher eine öde Gerölllandschaft. Doch liegt der Abstieg zum Lago di Montespluga mit seiner eindrucksvollen Staumauer hinter uns, wartet als absoluter Höhepunkt die atemberaubende Cardinelloschlucht. Das wildeste Wegstück musste dem Fels buchstäblich abgerungen ­werden und führt so abenteuerlich in knackigen Spitzkehren am maximalen Lenkeinschlag und zahlreichen Kehrtunnels hinunter in die malerischen Dörfer des Valle San Giacomo, wo es im Flecken Isola endet. Unbeleuchtete Tunnels und Galerien, dramatische Landschaft, die Kurven hören nicht auf bis Chiavenna.

Achtung: In den Galerien und Tunneln überraschen oft feuchte Stellen, schlecht einsehbare Kehren und Schlaglöcher sowie Split in den Kehrengalerien fordern volle Aufmerksamkeit. Vorsicht ist auch bei Gegenverkehr oberstes Gebot, denn auf ­diesem Abschnitt wird es selbst für sich begegnende Töff eng. Stopps in diesem Teil sind in jedem Fall ein Muss: Denn es gibt kaum eine Passstrasse im Alpenraum auf der die Kehren so steil übereinander liegen. Nehmt euch also Zeit und geniesst auch mal die Aussicht auf den Strassenverlauf. Morgens vor dem Rummel ist die Fahrt über den Splügen besonders schön. Und wenn Ross und Reiter den rauen Pass überstanden haben, wartet in der Altsadt von Chiavenna echtes Mittelmeerflair.


Von Grau­bünden nach Sondrio
Splügenpass – Viele unserer Passstrassen in den Alpen zählen zu den begehrtesten und attraktivsten Motorradstrecken weltweit. Die Schweizer Nordrampe des Splügen misst neun Kilometer, die fahrerisch ab dem See sehr anspruchsvolle italienische Südrampe 30 Kilometer. Der Splügen ist ein Pass für erlebnishungrige Abenteurer und für Anfänger und Leute mit Höhenangst ­weniger bis gar nicht geeignet.
Die berüchtigte Cardinello-Schlucht: 1643 wurde hier ein nicht ­befahrbarer Saumweg angelegt, welcher ab 1716 ausgebaut und  mit Lehnen, Stützmauern, Treppen und Galerien versehen wurde.

Eine Quelle des Rheins
Splügen – Der Ort bildet mit den schmucken Dörfern Hinterrhein, Nufenen, Medels und Sufers die Talschaft Rheinwald, bei der Quelle des Hinterrheins.

SEHEN, ERLEBEN, MITNEHMEN
Crestawald – Festungsmuseum. Mit dem Werk wurde der Splügen gesperrt.

Hotel Bodenhaus – ein Haus mit Geschichte.

Splügen – Im Heimatmuseum werden Passverkehr und Verkehrsgeschichte dokumentiert.

Team Adventure –Schnee-mobilexkursionen im Splügen-Gebiet – toller Tipp für die Winterzeit.

Museo della via Spluga –Geschichte der Transitroute.

Altstadt von Chiavenna – Im Handwerkerviertel der sehenswerten Altstadt lockt das Museum Bottonera. Die Mühle aus dem Jahr 1867 ist ein rares Beispiel des Müllerhandwerks.

Text und Fotos: Michael Kutschke
www.moto.ch